Samstag, 29. Oktober 2011

Der Gummifrosch

"Über meine Herkunft kann ich nicht viel erzählen. Ich muss wohl in irgendeiner Gummifabrik einmal entstanden sein. Wer mich aber wann zu einem Frosch gemacht hat, ist mir nicht mehr bekannt. Ist mir auch so was von frosch-egal ...
 
Ich erinnere mich aber noch genau an den Tag, an dem ich im Schaufenster eines Spielzeugladens lag, eingequetscht zwischen allerlei Stofftieren und kantigen Puppenschachteln. An meinem Hals hing ein rotes Schild mit weißen Zeichen. Eine Barbiepuppe, die lesen konnte, hat mir erklärt, was darauf geschrieben stand: Aktion! 50% Rabatt auf alle Gummitiere.
 
Ich sah mich um. Da hinten konnte ich aus dem Winkel meiner Glubschaugen gerade noch einen wackligen Gummidackel erkennen und neben mir ragte der Kopf einer gefleckten Gummigiraffe zum Himmel. Sonst waren keine Freunde zu erkennen. Wir waren wohl übrig geblieben und wurden jetzt als Überbleibsel im Sommerschlussverkauf für wenig Geld hergegeben.
 
Mir wurde langsam zu heiß. Die Spätsommersonne knallte mir geradewegs auf meinen hellen Gummibauch. Nur der Hals der Giraffe neben mir spendete mir einen kleinen Schatten auf meinem Pockengesicht. "Wann kommt denn endlich jemand, der mich aus meiner misslichen Lage befreit?" dachte ich bei mir verzweifelt.

Plötzlich verdunkelte der Kopf eines Mädchens mit Ponyfrisur das Schaufenster vor mir. "Mami, schau!", schrie das Ponygesicht, "die Giraffe da! Die passt doch bestimmt zu den Zwergen in unserem Garten.“ Die Mutter hinter ihr schüttelte den Kopf. "Dann eher schon der komische Frosch. Der ist billiger und passt besser zu Papas blöden Gartenzwergen!", hörte ich sie sagen. Das kleine Mädchen verzog den Mund und schwieg.

Wenig später hörte ich die Türglocke bimmeln. Beide Stimmen waren jetzt ganz in meiner Nähe. Sollte wirklich jetzt meine Rettung nahen? Eine kräftige Männerhand zerrte mich aus der Auslage und stellt mich unsanft auf den Ladentisch. "Meinen sie den?", knurrte der Verkäufer etwas mürrisch. Und dann fügte er noch hinzu: "Wenn Sie eine Barbiepuppe kaufen, schenke ich Ihnen den Gummifrosch noch dazu. Der fängt nämlich übel an zu riechen, wenn er zu lange in der Sonne liegt!" Ich war entsetzt über soviel Unverschämtheit.

Dann wurde es dunkel um mich. Papier knisterte in meinen Ohren und ich verschwand zusammen mit der Barbiepuppe in einer Plastiktüte. "Lass mich tragen!", trällerte die Mädchenstimme. "Du bist noch zu klein!", erklang die Frauenstimme, "bei dir schleift das Sackerl ja noch auf dem Boden und der Frosch bekäme dann sicherlich einen heißen Hintern!“ - "Aber auspacken darf ich", hörte ich das Mädchen noch maulen, bevor der abfahrende Bus alle weiteren Worte verschlang.

Noch am Nachmittag desselben Tages erblickte ich wieder das Licht der Welt. Ich befand mich jetzt an der frischen Luft inmitten von vielen bunten Gartenzwergen, die alle wie besessen schufteten und rackerten. "Willkommen, kleiner Frosch!“ ertönte eine freundliche Mädchenstimme hinter mir. "Du gehörst jetzt zu uns. Komm, pack mit an!"

Ich drehte mich um. Da stand ein wunderschönes Mädchen mit wallendem Haar hinter mir und reichte mir ihre zarte Hand. Sie hatte sehr viel Ähnlichkeit mit der Barbiepuppe aus dem Schaufenster von vorhin. "Ich bin Schneewittchen und alle Gartenzwerge dienen mir. Willst du nicht auch mein Diener sein?“, fragte sie. "Oh ja!", quakte ich lauthals und warf mich in die Zügel eines kleinen Karrens, der voll gepackt war mit Gartenabfällen. Und schon begann ich auch zu rackern und zu schuften, um allen zu zeigen, wie wertvoll ich war.

Der Tag verging schnell. Alle waren freundlich zu mir und gaben mir gute Tipps, wenn ich mal nicht weiter wusste oder mit meinem Karren in einem Mäuseloch hängen geblieben war. Als die Sonne sich im Westen verabschiedete, saßen wir alle an einem langen Tisch vor der Gartenhütte und warteten ungeduldig auf das Abendessen. Alle hatten schon einen Teller vor sich stehen, nur ich nicht. Ich war ja auch neu. "Da, nimm meinen!" sagte der Zwerg neben mir mit gequälter Stimme. "Mir ist heute nicht so. Ich glaube, ich kriege die Grippe. Ich lege mich besser aufs Ohr", murmelte er und verschwand. "Gute Besserung!", rief ich ihm nach und ergriff dankbar seinen Teller.

Da kam auch schon Schneewittchen aus der Hütte geweht mit einer Schüssel dampfender Erbsensuppe. In der Mitte schwammen saftige Knacker aufgeregt hin und her. Sie wussten wohl, dass sie gleich in hungrigen Mäulern verschwinden würden. Mir war der Hunger ein bisschen vergangen, denn als Frosch war ich andere Kost gewohnt. "Sei kein Frosch und iss!", munterte mich Schneewittchen auf, "sonst wirst du auch noch krank." Tapfer aß ich meinen Teller leer, denn ich wollte ihr ein treuer Diener sein.

Zur Nacht fand sich in der Schlafstube auch schnell ein Bett für mich. Ein altes Einmachglas wurde mit frischem Moos gefüllt und als Decke diente mir eine großes Ahornblatt aus dem Garten. Bald fielen mir auch meine Froschaugen zu und ich versank in tiefem Schlaf.

Gegen Mitternacht wurde ich durch ein tiefes Grollen in der Ferne aus meinen Träumen gerissen. Es kam immer näher. Immer lauter wurde der Donner und grelle Blitzte zuckten am Himmel. Ängstlich verkroch ich mich unter mein Ahornblatt.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und dicke Regentropfen prasselten auf den Boden der Hütte. Das Wasser schwoll an und begann alles weg zu schwemmen, was sich ihm in den Weg stellte. Es ergriff auch mein Einmachglas und riss es mit sich fort. Niemand hörte mein ängstliches Gequake, als die Fluten mich auf die Straße trieben und in einen Gully hinab spülten. War jetzt das Ende meines Froschlebens gekommen?“

Ich fiel aus meinem Einmachglas und stürzte kopfüber in den reißenden Strom der unterirdischen Kanalisation. Ich war schon fast am Ertrinken, da fiel mir ein, dass ich ein Frosch war und hervorragend schwimmen konnte. Also ruderte ich mit meinen grünen Armen und Beinen, bis ich wieder festes Land unter meinen Gummifüßen spürte.

Als ich mich von meinem Schrecken wieder erholt hatte, sah ich mich um. Ich befand mich auf einer Wiese außerhalb der Stadt. Die hatte der starke Regen auch schon unter Wasser gesetzt. Zum Schutz verkroch ich mich unter dem breiten Blatt einer mächtigen Krautpflanze.

Wenig später bekam ich Gesellschaft: Ein Breitmaulfrosch hockte sich neben mich und fing gleich an zu quaken: "Hallo, Nachbar. Auch auf der Flucht vor Adebar, dem Schrecken aller Breitmaulfrösche? Pass auf, dass er dich nicht erwischt! Denn heute geht er wieder um und macht reiche Beute.“ Ich schwieg, denn der Schwätzer ging mir auf die Froschnerven. Wenn der Storch unterwegs war, wieso machte er dann solchen Krach?

Und so kam es dann auch. Der Breitmaulfrosch wurde plötzlich von einem Storchenschnabel gepackt. Er blähte sich zwar noch mächtig auf, um dem gefräßigen Storch zu entgehen. Aber alle Tricks halfen nichts und er verschwand wehklagend im langen Hals des Adebars.

Auch mich erwischte er, noch ehe ich mich durch einen Sprung retten konnte. Doch, oh Wunder! Mit mir im Schnabel schwang er sich in die Lüfte und strebte mit weiten Flügelschlägen wieder stadteinwärts. Ich nahm an, er wollte seinen Storchenkindern etwas mitbringen, womit sie in seiner Abwesenheit üben konnten, Frösche zu fangen wie er.

Die zwei Storchenkinder klapperten hoch erfreut mit ihren Schnäbeln, als ich in ihr Nest oben auf dem Kirchturm plumpste. Gleich fingen sie auch an, sich um mich zu balgen und mich mit ihren langen Schnäbeln zu quälen. "Wenn die mich nur nicht gegen einen spitzen Ast in ihrem Nest stoßen! Dann platze ich nämlich und bin nicht mehr!", schoss es mir durch den Kopf.

Und genau das passierte! "Zischschsch!" machte es und ich flatterte meinen Peinigern wie eine Rakete davon. Da wachte ich wieder auf. Nichts war mir passiert! Aus lauter Langeweile muss ich wohl in der warmen Sonne eingeschlafen sein! Ich war immer noch an meinem alten Schaufensterplatz, umgeben von vielen anderen Ladenhütern."

Soweit der Gummifrosch und seine Geschichte. Und wenn er nicht verkauft worden ist, dann liegt er immer noch in diesem Schaufenster ...

- ENDE -

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