Freitag, 4. November 2011

JoJo der Schneetropfen

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich bin ein Regentropfen und heiße an sich
'Hans-Joachim'. Aber das ist meinen unzähligen Freundinnen und Freunden
auf Wolke 7 zu lang. Also haben sie mir den Spitznamen 'JoJo' gegeben.

Eng aneinander gereiht bildeten wir riesige dunkle Regenwolken, die vor
ein paar Tagen über dem Atlantik von Petrus, dem Wettergott, angeschubst
worden waren. "Macht euch auf die Reise nach Österreich. Die Kinder dort
warten schon auf euch!", hatte er zum Abschied uns noch zugerufen. Wir
hatten zwar nicht ganz verstanden, was er meinte, aber wir waren froh,
endlich mit dem Wind los segeln zu können.

Zuerst war unsere Reise ziemlich langweilig. Es ging nur über das Meer
dahin, Blau soweit das Auge reichte. Doch dann sahen wir endlich am
Horizont eine andere Farbe auftauchen: Grün. Wir wussten, dass es das
Festland war, auf das wir in Windeseile zusteuerten. "Haltet euch fest!"
ertönte eine Stimme aus den Lautsprechern an Bord unserer Wolke. Gleich
wird die Fahrt ein bisschen unruhig werden, wenn wir über Berge und
Täler fliegen. Am besten schnallt ihr euch an!"

Manche meiner Freundinnen und Freunde waren so vom Anblick der Erde so
begeistert, dass sie das Anschnallen vergaßen. Sie drängelten sich an
den Fenstern und Türen, um möglichst viel zu sehen. Und dann passierte
es! Um nicht mit einem plötzlich auftauchenden Berg zusammen zu stoßen,
fing unsere Wolke schnell an zu steigen. Mit einem Mal gingen die
Bodentüren auf und der Fahrtwind riss alle Tropfen, die nicht
angeschnallt waren, in die Tiefe. Traurig sahen wir ihnen nach, wie sie
unter uns der Erde zuflogen. "Na ja, Regentropfen haben auch ihren
Wert", sagte ein schlauer Regentropfen neben mir. "Mal sehen, was aus
uns wird", murmelte ich und vergrub mich in meinen Gedanken.

Als der Flug wieder ruhiger wurde, nahm ich mir ein Herz, schnallte mich
los und schlich vorsichtig zu einem Wolkenfenster. Was ich da sah, nahm
mir den Atem. So etwas Schönes hatte ich schon lange nicht mehr gesehen.
Lauter Berge und Täler zu einer wunderschönen Landschaft geformt und.
von der Sonne beschienen. Da möchte ich landen", dachte ich mir und
blickte dabei zufällig auf den Bug unserer Wolke. Da stand auf einem
großen Schild das Wort geschrieben: Alpbachtal. War das am Ende unser
Zielort? "Hoffentlich fängt Petrus bald mit dem Bremsen an!", flehte ich
zum Himmel.

Petrus musste mein Flehen wohl vernommen habe, denn auf einmal
verlangsamte unsere Wolke ihr Tempo und fing an zu sinken. "Fertig zum
Aussteigen!", dröhnte es wieder aus den Lautsprechern. "Draußen ist es
bitter kalt", fuhr die Lautsprecherstimme fort, "also nicht erschrecken!
Wir garantieren ein weiche Landung." Wir schnallten uns ab und warteten
gespannt darauf, dass sich die Ausstiegsluken öffneten. Da machte es
auch schon Rums! und wir fielen ins Freie.

Die Lautsprecherstimme hatte Recht: Draußen war es eisig kalt und schon
nach kurzer Zeit veränderte sich auf wundersame Weise unser Äußeres. Als
wir noch in der Wolke waren, waren wir kugelrund wie Wassertropfen.
Jetzt aber wurden wir durch die Kälte immer flacher und bekamen ein
flockiges Aussehen. "Jojo, du hast ja ein richtiges Gesicht!", grinste
eine weibliche Schneeflocke zu mir herüber und segelte näher an mich
heran. "Komm, lass' uns tanzen", rief ich ihr zu und umarmte sie. So
tanzten wir der Erde entgegen, die langsam auf uns zukam.

Katharina und Maxi warteten schon sehnsüchtig im Garten ihrer
Ferienwohnung auf uns herab rieselnden Schneeflocken. Selig breiteten
sie die Arme aus, um uns zu empfangen. Doch fangen ließen wir uns nicht!
Ganz sanft ließen wir uns in der Nähe der Kinder nieder. Zusammen mit
anderen Flocken bildeten wir jetzt eine dicke Schneedecke, die nur
darauf wartete, zu einem Schneemann geformt zu werden. Und richtig! Da
rollten die beiden schon dicken Schneewalzen vor sich her, die auch uns
erfassten. Jetzt ergriffen uns Kinderhände und hievten unsere Walze nach
oben. "Das ist der Kopf", hörten wir Katharina sagen. "Dem fehlt ja noch
das Gesicht", stellte Maxi fest und machte sich schon auf die Suche nach
geeigneten Stücken.

Während Maxi noch suchte, zog Katharina ihren Schal ab und schlang ihn
dem unfertigen Schneemann um den Hals. "Damit du nicht frierst", meinte
sie und streichelte seinen runden Bauch. "Hier hast du auch meine
Mütze", sagte sie und bedeckte seinen Kahlkopf mit ihrer roten Haube.

Bald war auch Maxi wieder zur Stelle. Er hatte aus dem Heizungskeller
ein paar Kohlen besorgt und auch in irgendeiner Ecke ein lange Mohrrübe
gefunden. Damit bekam der Schneemann auch sein Gesicht. Ich hatte Glück,
denn als Maxi dem Schneemann die Rübe als Nase aufsetzte, hätte er mich
fast erwischt. So blieb ich unversehrt und bildete zusammen mit anderen
Schneeflocken die linke Backe des Schneemanns.

Martin, Maxis und Katharinas Vater, kam hinzu und bewunderte das
Kunstwerk. Sogleich besorgte er den Stab für den rechten Arm des
Schneemanns und die Kartoffeln für die Mantelknöpfe. "Blöd nur", brummte
er, "dass wir morgen schon wieder nach Hause zurück fahren. Mitnehmen
geht nicht!". Maxi und Katharina schauten traurig in die Runde. Wie
konnte ich sie nur trösten? Da kam auch noch Katrin in die Runde und
hatte auch gleich eine Idee. "Wisst ihr was?", sagte sie viel
versprechend, "ich räume die Kühlbox leer. Dann können wir euren süßen
Schneemann dort mit heim transportieren!" Maxi und Katharina jubelten.
Sie hatten wirklich die besten Eltern der Welt!

Dann sah ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Kühlbox. Da hinein
sollten wir? Unmöglich! Das dachten sich auch die Menschen um uns herum.
Katrin und Martin tuschelten eine Weile und dann packten sie zu. Mit
vereinten Kräften schleppten sie den Schneemann in die Küche und drehten
die Heizung ab. "Ihr werdet sehen: Morgen früh, wenn wir losfahren, ist
euer Schneemann nur noch so groß, dass er in die Kühlbox passt!", meinte
Martin vielsagend und Katrin nickte zustimmend.

Heimlich standen Maxi und Katharina nachts auf, um nach dem
schrumpfenden Schneemann zu schauen. Tatsächlich: Er war nur noch halb
so groß! Doch es fehlte noch ein kleines Stück bis zur Kühlbox-Größe.
Die war dann erreicht, als alles für die Abreise fertig war. Ich hatte
Glück, dass ich im Kopf des Schneemanns saß und nachts nicht weggetaut
war wie der Schnee auf dem warmen Fußboden! Es war zwar verdammt eng da
drin in der Kühlbox und auch stockfinster, aber kalt genug, um als
Mini-Schneemann zu überleben ...

Wie waren wir froh, dass endlich nach zig Stunden wieder der Deckel
aufging. Vorsichtig nahm Martin den Schneemann aus der Box und stellte
ihn auf der Terrasse des Hauses ab. Wie freuten wir uns, dass es nur
wenig später zu schneien anfing und der Schnee uns mit einem weißen
Mantel zudeckte. Katharina und Maxi tanzten um uns herum. Dann fingen
sie an, mit Hilfe ihrer Eltern kleine Schneebälle zu formen und damit
den Schneemann wieder groß werden zu lassen, so groß wie am Tag zuvor.
Wir freuten uns wie Schneekönige, denn nun hatten wir eine gute Chance
den Winter heil zu überstehen!

Abends, als alle wieder im Haus waren, raschelte es in den Bäumen hinter
uns. Waren das nicht Eichhörnchen, die da jagten? Richtig! Und schon
saßen sie dem Schneemann auf den Schultern und fingen an zu pfeifen,
dass uns Schneeflocken die Ohren schrillten.

Als der Mond aufgegangen war und die Kälte noch mehr zunahm, wurde es
still um uns herum. Im fahlen Mondlicht konnte ich ein Schild an der
Haustüre erkennen. Darauf stand: Ruhweg 11. Wie wunderbar! Jetzt hatte
ich eine richtige Adresse: JoJo Schneetropfen, Ruhweg 11. Wenn ich doch
nur noch wüsste, wo genau das Haus steht! Aber das kriege ich auch noch
raus, wetten?!

Für heute erst mal Gute Nacht!

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